Was die Verdrängung des Autos aus der Innenstadt angeht, ist Amsterdam eine der fortschrittlichsten Hauptstädte der Welt. In gut fünf Jahren will man jetzt über 11.000 Parkplätze abbauen.

 

Ich schaue aus dem Fenster direkt auf den Wallring, der einmal komplett um die Dortmunder City führt. Angesichts dieser Blechwüste auf den jeweils drei Spuren in jede Fahrtrichtung kann ich mir aktuell nicht vorstellen, wie diese Innenstadt ohne Autos aussehen könnte. Also ich meine nicht leere Straßen, zum Beispiel nachts, wenn einfach kaum jemand unterwegs ist. Ich spreche davon, dass die Stadt tatsächlich signifikant weniger Autos zulässt: Weniger Spuren, weniger Parkplätze, dafür entsprechende Grünflächen oder was für eine Nutzung des freiwerdenden Platzes auch immer.

Leider sind wir davon hier in der Stadt noch meilenweit entfernt und generell sieht es da in deutschen Innenstädten noch nicht so besonders aus. Deswegen lasse ich uns heute gemeinsam einen Blick nach Amsterdam werfen, die uns diesbezüglich diverse Nasenlängen voraus sind, wie ihr euch denken könnt.

Als ich kürzlich in der niederländischen Stadt war (das erste Mal seit einigen Jahren), fiel mir bereits immer wieder die Kinnlade runter. Fahrrädern wird so viel mehr Raum gegeben als bei uns, das kann sich niemand vorstellen, der es nicht selbst gesehen hat. Das reicht der Stadt aber noch lange nicht: Von den insgesamt 265.000 öffentlichen Parkplätzen, die es für Autos auf den Straßen der Hauptstadt gibt, möchte man in den gut fünf Jahren bis Ende 2025 11.200 Parkplätze abbauen.

 

Verkehrsberuhigte Zonen mit Fokus auf Fahrrädern gibt es eh schon viele in Amsterdam, aber testweise hat man jetzt in einem Viertel ein ganz anderes Konzept ausprobiert, welches ihr oben auf dem Artikelbild seht. Für einen Monat hat man komplett alle Autos aus den Straßen dieses Viertels verbannt und die freiwerdenden Flächen sofort anderweitig verplant. Ihr seht ihr also auch keine Parkplätze mehr, stattdessen viele Grünflächen, sehr viele Stellplätze für Fahrräder usw.

Der Verkehrsrätin und stellvertretenden Bürgermeisterin Sharon Dijksma geht dieser Umbau bzw. der Rückbau der Parkplätze nicht schnell genug, daher hat man sich jetzt für diesen Testabschnitt entschieden. Es gibt natürlich auch Stellflächen für E-Bikes und es ist sogar geplant, dass jeder Wohnblock ein E-Lastenrad erhält, welches nach Bedarf gemietet werden kann.

 

Für den Testzeitraum konnte man die Anwohner davon überzeugen, ihr Auto in Parkhäusern in der Nähe unterzubringen, sowohl in der Tiefgarage eines Hotels als auch bei einem benachbarten Bahnhof. Es gab natürlich auch Gegenstimmen, die nicht besonders happy sind, unter diesen Bedingungen nun noch länger nach einem Parkplatz suchen zu müssen. Aber grundsätzlich waren es sogar die Autofahrer des Viertels, die die Idee vorangetrieben haben.

 

Es wäre auch paradox zu glauben, dass es nur Fußgänger und Radfahrer wären, die sich attraktivere Innenstädte wünschen. Die meisten der motorisierten Anwohner jedenfalls können sich sehr gut vorstellen, dass ihr Gefährt eben nicht direkt vor der Tür steht, sondern irgendwo unterirdisch in der Nähe des Wohnorts.

Etwa 40 Prozent der Haushalte in Amsterdam besitzen ein eigenes Auto und da erscheint es in der Tat absurd, dass so viel des verfügbaren Raumes für Autos draufgeht. Entsprechend begeistert zeigten sich jetzt die Bewohner des Test-Viertels beim Verlassen des Hauses. Eine Anwohnerin schwärmt, dass sie dank der Grünflächen jetzt anstelle von Autos Pflanzen und Insekten sieht und sie die Blumen riechen kann.

 

Eine andere berichtet von ihrem Mann, der jetzt nach Feierabend immer noch ein Schwätzchen mit irgendwelchen Nachbarn hält. Dinge, die sonst einfach nicht passierten, weil sich Leute einfach nicht unnötig lange auf einer mit Autos zugeparkten Straße aufhalten. Jetzt gehen die Menschen wieder öfter und länger raus und sprechen logischerweise auch mehr miteinander. Hier seht ihr mal einen direkten Vergleich: Oben die Straße, wie ihr sie bei Google Maps seht, darunter dann, wie sie bei diesem Test aussah.

Auf mich wirkt das paradiesisch, wenn ihr mich fragt. Natürlich funktioniert das nicht unmittelbar für jede wichtige Straße, aber auch in deutschen Städten sollte es machbar sein, nach und nach zumindest kleinere Straßen autofrei zu bekommen. Es muss ja auch nicht jedes Mal so extrem sein. Denkbar ist ja auch, dass es nur noch eine sehr überschaubare Zahl von Anwohnerparkplätzen gibt und man nur jeden zweiten Stellplatz beseitigt und durch Grünflächen oder Fahrradparkplätze ersetzt. Im folgenden Video seht ihr sehr schön, wie so eine Zone aussehen kann, aus der alle Autos verbannt wurden (mit Ausnahme einiger Stellflächen zum Be- und Entladen).

Hackney Cyclist@Hackneycyclist

These streets in De Pijp, Amsterdam have removed all street parking, except a few loading bays, and replaced with cycle parking, seating and greenery. You’ll see the entrance to the new parking garage under the canal near the end of the video, where the cars have been removed to

Eingebettetes Video

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Erst einmal bleibt mir wohl nur der neidvolle Blick nach Amsterdam oder ähnlich ambitionierte Städte wie Wien und Kopenhagen, aber ich bin sicher, dass sich die Städteplaner und Verantwortlichen in vielen deutschen Städten ebenfalls Gedanken machen, wie die Innenstadt von Morgen auszusehen hat. Das geht nicht über Nacht, denn man muss ja nicht nur die Autos aussperren und Grünflächen bepflanzen, sondern auch Konzepte entwickeln, damit die Anwohner auch so gut wie vorher von A nach B kommen.

 

Hoffentlich tut sich hier auch bald was in die Richtung — wir können jedenfalls immer öfter beobachten, dass die Innenstadt als natürliches Habitat des Automobils ein langsam aussterbendes Phänomen ist.

 

Quelle. Trouw via Wien zu Fuss auf Facebook