Schweden hat bezüglich der Corona-Pandemie eine eigene Strategie. Jetzt fühlt sich Stockholm in seinem Kurs bestätigt und will weiterhin keine Maskenpflicht.
- Schweden verzeichnet nur einen geringen Anstieg der Corona-Neuinfektionen.
- Nach wie vor soll es in Schweden keine Maskenpflicht geben.
- Der schwedische Corona-Sonderweg hat nicht nur Befürworter.
Stockholm – Zum zweiten Mal scheint Schweden die große Corona-Ausnahme in Europa zu werden: Wer Anfang der Woche die großen Stockholmer Zeitungen aufschlug oder TV-Nachrichten verfolgte, fand das in anderen Ländern wieder riesige Thema nur unter „ferner liefen“. Die Infektionszahlen blieben konstant niedrig, niemand schien offenbar die Notwendigkeit für Alarm mit dem Ruf nach neuen Restriktionen wie fast überall sonst in Europa zu sehen.
Corona-Krise in Schweden: Virus ist schwer berechenbar
Aber wie schwer berechenbar sich das Virus entwickelt, wurde am Mittwoch klar: Jetzt verbreitete auch Schwedens mächtiger Corona-Chefstratege Anders Tegnell nach neuesten Zahlen aus der Hauptstadtregion den ersten Warnruf: „Wir müssen wohl mit Stockholm diskutieren, ob extra etwas getan werden muss.“ Hier gibt es erstmals seit langem wieder steigende Zahlen.
Kurz vorher noch hatte Tegnell als Hauptverantwortlicher für das Nein zu einem Lockdown bei der ersten Welle in Interviews auf Erfolge verwiesen. So lag bisher im September die Quote der Infizierten bei den Nachbarn in Dänemark nach ihrem schnellen und harten Lockdown mit 48,5 Personen je 100 000 Einwohnern mehr als doppelt so hoch wie in Schweden mit 22,2. Die aktuelle Quote bei den Todesfällen ist in Dänemark mit 0,2 doppelt so hoch wie in Schweden mit 0,1.
Vor allem die sehr hohe schwedische Zahl der Verstorbenen in den ersten Monaten der Pandemie mit bisher 5884 Opfern hatte Tegnell und dem schwedischen Sonderweg harte Kritik eingebracht. Sie liegt im Verhältnis zur Bevölkerungszahl immer noch um ein Vielfaches über der Zahl der Toten von Dänemark (640) und auch der in Deutschland mit knapp unter 10 000.
Schweden: Viele Corona-Tote in Altersheimen
Tegnell hält daran fest, dass die hohe Totenzahl vor allem auf den zu Beginn der Epidemie unzureichenden Schutz von alten Menschen in Pflegeeinrichtungen zurückzuführen war. Er kann unter anderem auf aktuelles Lob auch der Weltgesundheitsorganisation verweisen, die Schweden für das Offenhalten der Schulen seit März gelobt hat. Selbst lobt sich Tegnell dafür, dass sein Land dabei im Gegensatz zu anderen vorher weltweit als richtig anerkannte Pandemiestrategien umgesetzt habe. Das gelte auch für die allseits, aber nicht von Schweden verfügten Grenzschließungen: „Ich glaube nicht, dass die irgendeinen Effekt gehabt haben.“
Umgekehrt sind im größten Land Skandinaviens andere Maßnahmen schärfer ausgefallen als anderswo. Erst zum 1. Oktober wird das für alle Altenheime geltende Besuchsverbot aufgehoben. Auch am Versammlungsverbot für mehr als 50 Menschen hat Tegnells „Volksgesundheitsbehörde“ eisern festgehalten, als anderswo schon wieder die Fußballstadien geöffnet wurden.
An einer anderen Entscheidung hält Schweden auch noch fest: Es gibt nach wie vor keine Maskenpflicht. Sie soll nur eingeführt werden, wenn die Infektionszahlen drastisch steigen. (Von Thomas Borchert)
vonThomas Borchert