Das spirituelle Leben der Indianer

In den indianischen Traditionen ist alles vom Schöpfer Erschaffene beseelt, egal, ob es belebt oder unbelebt ist. Alle Dinge stehen daher miteinander in Verbindung und gelten als heilig. Die Beziehungen zwischen den Menschen, Mutter Erde, den Tieren und den Vorfahren sind genau festgelegt. Die Erde sorgt für die “Zweibeiner” -die Menschen- ebenso wie für alle anderen Kreaturen. Von den Menschen wird folglich erwartet, daß sie die Erde mit Respekt behandeln. Viele “Vierbeiner” -die Tiere- opfern sich bereitwillig als Nahrung und Kleidung der Menschen und müssen daher geachtet werden.

Die in den Gefilden der Geister weilenden Vorfahren schenkten den jetzt Lebenden das Leben, und auch sie sind dafür zu achten. Schließlich müssen die Menschen ihre Verwandten respektieren und füreinander sorgen, um überleben zu können.
Dieses komplexe System gegenseitiger Achtung drückt sich nicht nur im täglichen Leben, sondern auch in den Ritualen und Zeremonien aus. In jedem traditionellen Ritus und in jeder Zeremonie wird jener Geist verehrt, der alle Dinge auf Erden vereint und ihre heilige Verbindung bekräftigt.

Das spirituelle Leben der einzelnen Indianernationen ist einzigartig und eng mit der spezifischen Umgebung verknüpft. Gewisse Grundkonzepte und Haltungen sind jedoch allen gemeinsam. Es ist der Glaube an den Spirit, jene Kraft des Geistes, die “Medizin”, die allen Dingen innewohnt. Jede Pflanze und jedes Tier, selbst der Boden und die Steine besitzen eine Seele, die ihrerseits wieder von anderen Seelen anhängig ist. die Zyklen der Natur sind Zeugnisse des ewigen kreislaufs und der immerwährenden Zeitlosigkeit der Schöpfung.

Einige Völker betrachten die Kräfte, die unsere Welt formen, als eigenständige Wesen, die in Form natürlicher Phänomene wie des Windes oder des Wassers, des Getreides oder eines Tieres in Erscheinung treten. Diese Wesen sind wie Verwandte, und die Rechte und Pflichten, die sich aus dieser Verbindung ergeben, strukturieren das gemeinsame Leben. Andere Völker sehen in den kosmischen Mächten formlose, mystische Energien. Beispiele sind der Manitu bei den Algonkin, Wakan bei den Lakota und Sila bei den Baffin-Bay-Inuit.

Jedes Volk hat seine eigenen Mittel und Wege, wie es Verbindung mit den kosmischen Mächten aufnimmt, wie es die Medizin reguliert und nutzbar macht. Einzelne Indianer bemühen sich um die Fähigkeit, mit den Geistern direkt in Verbindung zu treten; anderen wurde diese Gabe in die Wiege gelegt oder infolge einer Lebenskrise geschenkt. Doch jeder muß den Geistern Tag für Tag gebührende Beachtung schenken. Er ist ihnen dies schuldig, einfach, weil er lebt. Kategorien wie Gut und Böse besagen, ob diese Verpflichtungen erfüllt wurden oder nicht. Ein Versäumnis ist ein Zeichen von Respektlosigkeit und bringt die Balance und Harmonie der Welt aus dem Gleichgewicht. Die meisten Tugenden sollen daher den notwendigen Respekt sicherstellen, so daß die kosmische Harmonie geqwahrt bleibt und das Überleben der Gemeinschaft garantiert ist.

Medizinrad Über die Ebenen und Prärien Nordamerikas sind große Steinkreise verteilt, die als “Medizinräder” bekannt sind. Sie wurden aus dem Geröll errichtet, das die Gletscher hinterließen. Die Radnabe ist ein Steinhaufen; weitere Steine liegen auf dem Außenring, der durch speicherartige Steinlinien strahlenförmig mit dem Zentrum verbunden wird. Am bekanntesten ist das Medizinrad von Big Horn in Wyoming, das nahezu 30 Meter im Durchmesser mißt und 28 Speichen sowie sechs kleine Steinhaufen am Rand besitzt. Von wem es gebaut wurde, zu welcher Zeit und aus welchem Grund, ist unbekannt. Eine weitverbreitete Theorie besagt, daß die Speichen eines Medizinrades an astronomischen Ereignissen ausgerichtet wurden, etwa am Sonnenstand zu Tagesanbruch der Sommersonnenwende. Einer anderen Theorie zufolge sind die

 

NATUR UND GEIST

Für die Indianer sind Natur und spirituelle Energie untrennbar verbunden: Der Geist ist allen Dingen innewohnend, und alle Dinge sind Teil der Natur. Die Erde ist das Zentrum dieser Vorstellung. Sie ist der Ursprung eines ewigen Kreislaufs von Zeugung, Tod und Regeneration, den alle dinge zu durchlaufen haben. “Mutter Erde”, dieses ausdrucksstarke Bild, ist oft Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen. Es scheint unklar, ob es vor der Ankunft der Weißen entstand oder ob es ein europäisches Sprachkonstrukt ist.
Die Erzählungen der Indianer gehen oftmals davon aus, daß die erde als Gastgeber der Menschheit fungiert. Viele indianische Traditionen sehen den Menschen spirituell tief in der Erde verwurzelt, da sie ihm das Leben schenkt, ganz so, wie sie auch den Pflanzen Halt gibt. Alle Wesen müssen sich die Erde teilen; jeder ist dem anderen gegenüber verantwortlich, keiner dem anderen übergeordnet.

Diese Haltung steht im widerspruch zur jüdisch-christlichen tradition, derzufolge Gott den Menschen als Herrn über die Erde und alle Kreaturen einsetzte. In den indianischen Traditionen werden die Tiere in hohem Ausmaß verehrt, und einige Völker glauben, daß sie die Welt erschaffen haben. Für viele war der Schöpfer ein Erdtaucher, eine Schildkröte oder eine andere kleine Kreatur, die Lehm aus den Tiefen der urzeitlichen Gewässer herauftauchte und daraus das Land formte.

In der indianischen Vorstellungswelt besitzen Tiere genau wie Menschen einen Geist und unterhalten ein komplexes, wechselseitiges Beziehungsgeflecht zu Menschen, Tieren und der Erde. Oft spielen Tiere eine wichtige Rolle bei der Unterweisung des Menschen. Trickster -Schwindler, die oft in Tiergestalt auftauchen- erteilen ihren menschlichen Nachbarn wertvolle moralische Lektionen. Im Zentrum jeder Indianerkultur steht die unumstößliche Verehrung der Umwelt. Die Landschaft gilt als heilig und ist eine Quelle der Identität und Kraft.

Kachina Ein Kachina (“Geist”)-Bildnis der Hopi mit Masau´u, dem Beschützer der Erde und Herrscher über den Tod, der auch den Regen bringt. GROSSER DONNER SPRICHT VON DER ERDE
Zu Beginn des 19. Jh. hielt Bedagi oder “Großer Donner”, ein berühmter Redner der Wabanaki (Micmac, Penobscot, Passamaquoddy und Maliseet), eine Rede über die Beziehung von Natur, Geburt und Tod. Das zentrale Thema ist der ewige Rhythmus: Geboren aus der Erde, kehrt alles früher oder später zu ihr zurück.

“Der Große Geist ist unser Vater, die Erde aber ist unsere Mutter. Sie nährt uns. Was wir in den Boden geben, gibt sie uns zurück, und auch die heilenden Pflanzen verdanken wir ihr. Wenn wir verwundet sind, gehen wir zu unserer Mutter und legen die Wunde an sie, um geheilt zu werden. So mächtig unser Bogen bei der Jagd ist, nicht unser Pfeil tötet den elch, die Natur tötet ihn. Der Pfeil steckt in ihm, und wie alle geht auch er zu unserer Mutter, um geheilt zu werden, drückt seine wunde an sie, dadurch aber dringt der Pfeil nur tiefer in ihn ein.
Der Elch ist nicht zu sehen, aber wenn ich mein Ohr an einen Baum halte, kann ich hören, wann er zum nächsten Sprung ansetzt, und ich folge ihm. Jedes Mal, wenn er stehenbleibt und seine Seite reibt, dringt der Pfeil tiefer ein. Schließlich finde ich ihn erschöpft, der Pfeil hat seinen Körper durchdrungen.”

 

BLUTSVERWANDTSCHAFT UND TOTEM

Vielen Indianern galt die Blutsverwandtschaft als Grundlage für Stabilität, Integrität und das Überleben der Gemeinschaft. Neffe oder Tochter zu sein hieß, genau definierte Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Jene, die als Fremde in die Dörfer kamen -auch gefangene Weiße- wurden oft als “Cousins” oder “Brüder” adoptiert, wodurch ihnen eine eindeutige Rolle zugeteilt wurde und die Integrität der Gruppe gewahrt blieb.

Eine besonders bedeutende Rolle spielt die ältere Generation. Die Kinder wurden in erster Linie von den Großeltern aufgezogen, da man der Ansicht war, daß die mit dem alltäglichen Leben beschäftigten Eltern für die Erziehung noch nicht genügend Weisheit besäßen. Die Alten waren und sind die Instanz in Fragen und Erziehung und der Moral und als Geschichtenerzähler die Bewahrer des mythologischen und spirituellen Erbes eines Volkes.

Die indianischen Völker betrachten ihre Gemeinschaft häufig als Erweiterung der “geisterreichen” Natur. Die Clans und die Geheimbünde glauben, daß sie Nachfahren eines Tiergeistes oder Totems sind -ein Ausdruck, den Anthropologen von dem mit “Dorf” übersetzbaren Ojibwa-Wort Odem ableiten. Die Irokesenvölker unterteilen sich in Gruppen wie den Schildkröten-, den Bären- und den Wolfs-Clan, wobei jedem Clan eine Clan-Mutter vorsteht. Das Totemtier hat einem Vorfahren bei der Jagd geholfen oder ihm den Weg zurück nach Hause erleichtert. Auch macht sich bisweilen ein Clanmitglied auf die ritualisierte Suche nach einem Sippentotem. Mitglieder des Osage-Spinnen-Clans z. B. erzählen, wie einst ein junger Mann in den Wald ging und den Spuren eines Hirsches folgte, als er über ein großes Spinnennetz fiel. Die Spinne fragte ihn, warum er über ihr Netz stolperte, worauf er ihr antwortete, er befände sich auf der Suche nach einem Totem der Indianer. Die Spinne antwortete, sie sei zwar eine kleine, schwache Kreatur, doch habe sie die Tugend großer Geduld. Früher oder später kämen alle Kreaturen in ihr Netz, wofür er der beste Beweis sei. So kehrte der junge Mann zu seinem Clan zurück, der die Spinne tatsächlich zu seinem Totemtier erkor.

Man muß nicht Mitglied eines durch ein Totemtier verbundenen Geheimbundes oder eines Clans sein. Auch Einzelpersonen können eine individuelle Beziehung zu einem Totemtier, ihrem persönlichen geistigen Führer, entwickeln. Die Indianer gehen davon aus, daß einzelne wie Clanmitglieder mit der Zeit Wesensmerkmale ihres Totemtieres annehmen. Den Mitgliedern des Bären-Clans wird große Grimmigkeit und Kraft nachgesagt. Die Angehörigen des Mäuse-Clans der Cheyenne entwickelten angeblich wie ihr kurzsichtiges Totemtier eine beschränkte Weltsicht: Sie achteten sehr darauf, was in ihrer Nähe und in der Gegenwart passierte, interessierten sich aber kaum für das, was weiter entfernt oder in der Zukunft lag.

 

GEHEIMBÜNDE

Alle Kulturen versuchen, Bindungen zu entwickeln, die über die Blutsbande hinausgehen. Bei den Ureinwohnern Nordameikas formierten sich solche Gruppierungen als Geheimbünde -Verbände, die auf einem ganz bestimmten heiligen Ideal, Ritual, Wesen oder Objekt beruhen. Sie waren zwar manchmal mit bestimmten Clans identisch, doch ebensooft durchkreuzten sie die Bande der Blutsverwandtschaft. Die Mitgliedschaft bei einem Geheimbund vermittelte eine deutlichere soziale Identität. Wenn diese Bünde fehlten oder schlecht funktionierten, sah man das Volk in Gefahr.

Die Macht der Geheimbünde beruhte auf der Geisterwelt. Bei den Kwakiutl nahmen Spirits etwa als Püppchen an den Initiationsriten teil. Hin und wieder konzentrierte sich die Macht eines Bundes in einem heiligen Beutel mit Objekten, die der Obhut eines Stammes oder Clans anvertraut wurden. Dieser Beutel stand im Zentrum bestimmter Zeremonien. Die Pawnee der Plains glaubten, daß viele der heiligen Beutel mit den Sternen in Verbindung stünden. Aus diesem Grund enthielten sie Symbole kosmischer Kräfte. Einer anderen Vorstellung zufolge symbolisieren sie die Wesenszüge jener Gottheit, der der Beutel geweiht ist. Der Beutel selbst kann ein mit einem Sternenmuster bemaltes Stück Fell sein, das um Dinge wie Getreideähren (Mais) gewickelt wird, die die alljährliche Erneuerung der Erde versinnbildlichen. Der Totenkopf-Beutel der Skidi-Pawnee enthielt ursprünglich den vermeintlichen Schädel von “Erster Mann”. Nachdem er zerbrochen war, wurde der Schädel eines anderen bedeutenden Pawnee-Häuptlings aufbewahrt.

Die Medizinbünde waren vor allem im Nordosten verbreitet. Die Huronen fürchteten Krankheit und legten daher großen Wert auf ihre Heiler. Jeder dieser Bünde hatte ein Oberhaupt, dessen Amt vererbbar war und der manchmal gleichzeitig ein bedeutender Häuptling sein konnte. Der heilende Bund Atirenda bestand aus rund 80 Mitgliedern, darunter sechs Frauen. Bei ihrem Haupttanz, Otakrendoiae, simulierten die Mitglieder mit Amuletten wie Bärentatzen, Wolfszähnen oder Steinen, einander zu töten. Der Bund Atirenda war bekannt, Brüche gut auszuheilen.
Maske Die Mitglieder des irokesischen Geheimbundes der “Falschgesichter” trugen Wendemasken in Erinnerung an ihren Schutzgeist, einen Riesen. Dieser Riese hatte einst den Schöpfer zu einem Kräftemessen herausgefordert, bei dem ein Berg bewegt werden sollte. Er vermochte den Berg jedoch kaum von der Stlle zu rühren, der Versuch des Schöpfers hingegen war so erfolgreich, daß der Berg dem Riesen ins Antlitz schlug, bevor er ausweichen konnte. Geläutert willigte der Riese ein, sich von nun an um die Gesundheit der Menschen zu kümmern. Sein Gesicht jedoch blieb eine verzogene Grimasse.

Die Geheimbünde waren ein effektives Instrument sozialer Kontrolle. Sie boten sich für die Erziehung der Jugend und die Aufteilung bürgerlicher und sakraler Pflichten an. Bei einigen Völkern spielten sie auch eine wesentliche politische Rolle. In North Carolina verknüpften die Östlichen Cherokee (jene, die der Zwangsumsiedlung nach Oklahoma entkommen waren) politische Aktivitäten eng mit dem Zyklus der wichtigsten religiösen Zeremonien. Die Stammesvorsitzenden gehörten einem oder zwei Geheimbünden an, der White Peace Organization oder der Red War Organization. Die Vorsitzenden der White Peace Org. formulierten gemeinsam mit ihren Gehilfen und sieben Beratern die zivile, strafrechtliche und religiöse Rechtsprechung und dienten als Standesamt. Sie waren auch für wichtige rituelle Zyklen verantwortlich.
Die Red War Org. war für alle Aspekte der Kriegsführung zuständig, vom Zusammentrommeln der Krieger bis zum Zählen der Opfer; sie führte Reinigungsriten vor und nach dem Kampf durch. Vorstand des Bündnisses war ein Häuptling, der unter anderem von einigen älteren Matronen unterstützt wurde, die in hohem Ansehen standen und Pretty Woman (“Hübsche Frauen”) hießen.

Neben den ausschließlichen Männerbünden existierten auch reine Frauenbünde. Bei den Blackfoot-Indianern im südlichen Alberta betrachtete man die Frauen als Lebensspenderinnen. Zeremonien konnten nicht ohne sie stattfinden. Die Frauen bewahrten die heiligen Beutel auf, die wichtig für die meisten Zeremonien wie etwa den Sonnentanz waren. Nur ihnen war es gestattet, die Beutel zu öffnen und die heiligen Gegenstände den Männern zu überreichen, und nur sie konnten die Geister herbeirufen.
Vor dem Sonnentanz errichteten Mitglieder der Old Woman´s Society (“Gesellschaft der alten Frauen”) einen Büffelkoral. Am vierten Tag der Zeremonie inszenierten sie ein Büffeltreiben, bei dem einige Mitglieder Büffel-Kopfschmuck trugen und das Tier nachahmten. Dieses Ereignis wurde zu Ehren des Schöpfergeistes, des Büffel-Spirits und der Menschheitsgeschichte aufgeführt.

Manchmal kontrollierten die Geheimbünde ganz spezielle Zeremonien. Bei den Crow im Nordwesten der Plains war die “Tabakgesellschaft” für die Tabakzeremonie verantwortlich, von der in den Augen des Stammes das Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft abhing. Außerdem mußten zur Sicherung der Existenz Samen der ursprünglichen Pflanzen verwahrt werden. Teil des Pflanzenrituals war ein mehrtätiges Fasten, währenddessen auch nicht getrunken werden durfte. Außerdem schnitten sich die Teilnehmer in die Arme und die Beine und fügten sich selber Brandwunden zu. Das Amt des Pflanzers war erblich, konnte aber auch gekauft werden. Für diese Ehre mußte ein Pflanzer sämtliche weltlichen Besitztümer aufgeben.

 

DAS POWWOW

Powwow Der Ausdruck “Powwow” leitet sich vermutlich von dem Algonkin-Wort Pauau ab, das eine Versammlung bezeichnet. Die europäischen Amerikaner verwenden den Begriff, um ein gesellschaftliches ereignis, bei dem wichtige Angelegenheiten erörtert werden, zu beschreiben. Die Indianer meinen mit Powwow eine große, traditionelle Versammlung eines oder mehrere Stämme, die von Gesang, Tanz, Geschenken und Ehrungen begleitet wird. Es ist der öffentliche, dramatische Ausdruck indianischer Identität. Manchmal sind die Powwows der Allgemeinheit zugänglich, meist jedoch den Indianern allein vorbehalten. Zu den Powwows führen beliebte Reiserouten, und vom späten Frühling bis zum Frühherbst reisen die Indianer über das Land, um an den stammesübergreifenden Powwows teilzunehmen. Als panindianische Veranstaltungen ermöglichen sie, enge Beziehungen mit anderen Stämmen zu knüpfen und sind daher eine Demonstration der Solidarität sowie ein machtvoller Ausdruck indianischer Kultur.

Das Ereignis, das an eine zentrale Arena oder Laube gebunden ist, beginnt gewöhnlich mit einer großen Prozession. Oft wird sie von Militärveteranen angeführt, die Fahnen hissen und eine kurze Beschwörungszeremonie abhalten. Meist folgen Kriegstänze und andere Tänze wie Rund-, Gras- und Hasentänze. Viele sind ausdrücklich für alle Stämme gedacht. In farbenprächtigen Kostümen mit Tüchern, Perlarbeiten, Federbüchen und Kopfschmuck bewegen sich die Powwow-Tänzer anmutig durch die Arena, wobei gleichmäßige Trommelschläge ihre Bewegungen bestimmen. Zu vielen Powwows gehören Tanzwettbewerbe. Die Teilnehmer legen oft weite Strecken zurück, da den Tänzern und Trommlern beachtliche Geldpreise winken.

Einen anderen Höhepunkt des Powwows bilden die Geschenkzeremonien, bei denen einzelne oder Familien einander Geschenke überreichen. Sie können ganz einfach ausfallen oder so kunstvoll wie die handgearbeiteten “Stern”-Decken der Sioux sein. Diese Zeremonie wird zum Anlaß genommen, alle jene zu ehren, die sich besonders hervorgetan haben, wie Universitätsabsolventen, Militärangehörige und Stammsführer. Ebenso wird denjenigen Anerkennung gezollt, die einer Familie in einer Krise wie z. B. einer Trauerzeit beigestanden haben. Die Geschenke werden gewöhnlich am Nachmittag zwischen den einzelnen Tänzen verteilt. Der Powwow-Sprecher begründet die Schenkung, erklärt, wer die Geber und die Empfänger sind, und ruft zu einem Ehrentanz auf. Anschließend reichen sie Teilnehmer einander die Hände, woraufhin das Programm fortgesetzt wird.

Bei einem Powwow ist das Zusammensein ebenso wichtig wie der Tanz. Es ist eine Gelegenheit für die Indianer vieler verschiedener Stämme, alte Freundschaften zu erneuern und ein gemeinsames Festmahl abzuhalten, bei dem traditionelle Speisen wie Bison, Wildbret, Getreide (Mais), Eintopf und gebratenes Brot serviert werden. Üblicherweise trifft man sich auch zum Beten und hält politische Ansprachen. Und schließlich nutzt man die Gelegenheit, um sich Extrageld durch den Verkauf von Kunsthandwerk zu verdienen.

 

Kid TANZWETTBEWERBE

Bei den Tanzwettbewerben unterscheidet man verschiedene Kategorien, je nach Art des Tanzes, des Alters und des Geschlechts der Tänzer: Die Teilnehmer tragen verschiedene Kostüme. Ein männlicher Fancy-Dancer (Phantasie-Tänzer) trägt Federbüsche und Perlen, während eine Tuchtänzerin ein langes gefranstes Tuch über einem kustvoll mit Perlen behängtes Kleid sowie Mokassins und Gamaschen trägt. Die Glockenkleidtänzer werden nach den Blechglocken, die ihre Kostüme schmücken, benannt. Die Preisrichter, im allgemeinen frühere Powwow-Tanzmeister, mischen sich unter die Wetbewerbsteilnehmer und beurteilen den Stil ebenso wie die Fähigkeit, im Rhythmus des Liedes zu bleiben und beim letzten Trommelschlag innezuhalten.

 

HEILIGE UND SCHAMANEN

Individuelle religiöse Praktiken, die auf einem persönlichen Spirit oder einem Totem beruhen, spielen im Leben der meisten Indianer eine bedeutende Rolle. Einige Menschen haben jedoch einen besseren Kontakt zur Geisterwelt als andere. Anthropologen bezeichnen sie meist als “Schamanen”. Es sind spirituelle Führer, die außergewöhnliche Kräfte erworben haben und daher die Fähigkeit besitzen, zwischen den Welten zu wechseln. Viele Indianer lehnen den pauschalisierenden Begriff des Schamanen ab, weil er aus einer fremden Kultur stammt -nämlich jener der Tungus, Rentierzüchter aus Ostsibirien- und weil er der Vielfalt der spirituellen Führer nicht gerecht wird. Am ehesten paßt der Begriff des “Heiligen”.

Sitting Bull Heilige können Menschen sein, die ohne ausdrückliche Suche in einer einzigen mächtigen Vision Einblick in die Zukunft nehmen dürfen. Zu dieser Kategorie gehören die berühmten Kriegshäuptlinge Sitting Bull und Crazy Horse. Sie nutzten ihren vereinzelten Kontakt mit der Geisterwelt besonders im Krieg. Für ihr Volk waren sie heilige Männer, aber sicher keine Schamanen. Diese Bezeihnung ist eher für eine andere Art heiliger Menschen angemessen. Sie halten mehr oder minder ständigen Kontakt zu den Geistern, gestalten diese anderen Welten und versuchen sogar, den Geistwesen ihren Willen aufzuzwingen wie etwa ein Yaqui-Schamane, der versucht, seinen Körper in den eines Tieres zu verwandeln.

Weiße nennen die heiligen Menschen manchmal auch “Medizinmänner”, doch wird dieser Ausdruck oft abwertend gebraucht. Er scheint jedoch recht passend, wenn die Visionskraft eines Heiligen zur Diagnose und Heilung von Krankheiten eingesetzt wird.
Heilige gelten als Bindeglied zwischen der natürlichen Welt und jener der Geister. Im allgemeinen handeln sie zwar zum Wohle ihres Volkes, manchmal können sie ihre Fähigkeiten aber auch dazu einsetzen, feindlich gesinnten Personen oder Gruppen zu schaden.

Vorsorge, Diagnose und Heilung gehören zu den wichtigsten Aufgaben der Heiligen. Für Krankheiten kommen viele Ursachen in Frage. Sie können die Folge von Zauberei oder Hexerei sein. Die Apachen des Westens glauben, daß einige schwere Erkrankungen durch den falschen Umgang mit heiligen Dingen verursacht werden. Verletzt jemand die Tabus, welche die Dinge umgeben und in denen die heilige Macht wohnt, macht ihn dies krank. So wird beispielsweise die Hirschmacht verletzt, wenn man einen Hirschmagen kocht, die Zunge eines Hirsches ißt oder seinen Schwanz abschneidet. Wer auf den Schwanz einer Schlange tritt, wird genauso krank wie einer, der sich gegen einen vom Blitz getroffenen Baum lehnt. Einige Tabus wie das Verbot, ins Wasser zu urinieren oder auf einem Getreidefeld Fäkalien zu hinterlassen, haben offenkundig einen praktischen Hintergrund.

 

Wie man eine heilige Person wird

Bei den Crow unterziehen sich die meisten erwaschenen Männer körperlichen Qualen, um Visionen zu bekommen. Durch sie erhoffen sie spezielle Kampfkraft oder Reichtum. Den meisten Suchenden bleibt eine Vision verwehrt, daher haftet einem Scheitern kein soziales Stigma an.
Bei den Washo des Great Basin ist die heilige Kraft etwas, was unerwartet kommt und höchst unerwünscht ist. Sie zeigt sich zunächst in Traumfolgen, in denen etwa ein Tier oder ein Geist auftaucht. Eine solche Vision verleiht ihnen Macht, die sie jedoch fürchten. Sie erscheint ihnen um so gefährlicher, je genauer sie beschrieben wird. Man kann dieses Angebot zwar ablehnen, doch fügt das Geistwesen Wegaleyo dem Träumer in diesem Fall Leid zu. Gibt er schließlich nach, unterweist ihn Wegaleyo in die Kunst des Träumens. Er lehrt ihn sein persönliches heiliges Lied und zeigt ihm Objekte, Orte und heilige Praktiken wie rituelle Waschungen.

Vom Träumer wird erwartet, sich einen anerkannten Heiligen zu suchen, der ihn in die Kunst der Fingerfertigkeit, des Bauchredens und anderer Fähigkeiten unterweist.
Bei den Upper Skagit des Staates Washington geben sich die Schamanen erst zu erkennen, wenn sie öffentlich zu wirken beginnen. Sie entscheiden selbst, ob sie Schamanen werden, nachdem sie die nötige Geisteskraft durch Fasten oder über Visionen errungen haben. Viele Heilige der Upper Skagit warten, um geistige Kraft zu erlangen, bis zur Mitte ihres Leben, in der sie den schamanistischen Geist von einem verstorbenen Elternteil oder Bruder erben können.

Erkrankt jemand, wird eine heilige Person gerufen, um die Ursache der Krankheit zu ergründen und sie zu heilen. Bei den Apachen des Westens sind die Heilungszeremonien eine kollektive Angelegenheit. Der Heilige oder einer der Ältesten erzählt Geschichten über den Ursprung des Rituals, um die Konzentration und die Zuversicht der Gemeinschaft zu stärken. Die Zeremonie selbst beginnt mit einem Feuer und Trommelschlägen. Daraufhin begibt sich der Heilige zum Patienten und setzt sich singend ans Feuer, während der Patient für nahezu zwei Stunden bewegungslos verharrt. In einer Pause trinken Heiler und Zuseher ein vergorenes Korngetränk namens Tulpai (Tulapai: von den Apachen in früheren Zeiten hergestelltes Getränk mit geringem Alkoholgehalt); währenddessen kämpft der Patient darum, wach zu bleiben. In den Morgenstunden, etwa um drei Uhr, werden die Gesänge wiederaufgenommen, bei denen der Heilige die Geister des schwarzschwänzigen Hirsches und der Ga´an genannten Wesen anruft. Im Morgengrauen hält er mit seinem Gesang inne, besprenkelt den Kopf und die Schultern des

Patienten mit Rohrkolben-Blütenstaub und schlägt zur Erleichterung der Beschwerden mit Gras gegen die Stirn des Kranken. Erschöpft singt der Heilige zum Abschluß zwei weitere Lieder.
Ein Heiliger ist nicht nur Beschwörer: Er besitzt ein in langen Lehrjahren erworbenes, substantielles Wissen über jene Kräuter und Pflanzen, die wirksame Arzneimittel sind und heilende Wirkung haben.
Ein Heiliger ganz anderer Art ist der Wahrsager, der für seine Aktivitäten eine besondere Begabung braucht. Im Prinzip geht er bestimmten Dingen auf den Grund: Ein Wahrsager ist in der Lage, die Ursache von Hexenkraft oder Zauberei aufzuspüren, er kann helfen, verlorene oder gestohlene Dinge wiederzufinden, und den erfolgreichen Verlauf einer Jagd vorherzusehen.

Wahrsager unterstützen auch Heiler dabei, herauszufinden, welches Tabu ein Patient gebrochen hat. Sie sind oft daran beteiligt, die richtige Behandlungsprozedur oder den richtigen Zeitpunkt für die notwendigen Rituale zu bestimmen, und beraten den Patienten bei der Entscheidung, welchen Heiligen er als Beistand rufen soll.

Die Huronen kennen drei Arten von Wahrsagern. Die einen finden verlorene Gegenstände, andere können die Zukunft vorhersagen, und die dritten vermögen Krankheiten zu heilen. Die Heiler heißen Ocata oder Saokata. Jeder hat seinen Oki oder Geistverwandten, der ihm die Krankheit im Traum zu erkennen gibt. Manche finden die Antwort im Feuer, andere versetzen sich in Ekstase, fasten oder schließen sich in eine dunkle Schwitzhütte ein.

Navajo Die verbreiteste Form des Wahrsagens bei den Navajo-Indianern ist das “Handzittern”. Wird jemand krank, arrangiert ein Vermittler den Besuch eines Handzitterers. Wenn er kommt, setzt er sich zum Patienten und wäscht sich Hände und Arme mit einer Yuccawurzel, die für die rituelle Waschung vor Heilungszeremonien, Hochzeiten oder anderen sakralen Anlässen benutzt wird. Dann nimmt er Blütenstaub und streut ihn dem Patienten auf die Fußsohlen, die Knie, die Handflächen, die Brust, zwischen die Schultern, auf den Kopf und in den Mund.
Danach nimmt der Heiler etwa einen Meter entfernt zur Rechten des Patienten Platz, nimmt noch mehr Blütenstaub und bestreut die Innenseite seines Armes ab dem Ellenbogen bis hinunter zu den Fingerspitzen. Dabei betet er: “Schwarzes Gila-Monster, sag mir bitte, was diesem Patienten fehlt; ich schenke dir eine Jett-Perle, wenn du mir sagst, welche Krankheit er hat.” Er wiederholt dieses Gebet für jeden Finger, wobei er jedes Mal sowohl dem Gila-Monster (eine Art Eidechse) als auch der Perle eine neue Farbe zuschreibt. Danach singt er ein “Gila-Monster-Lied”, wobei seine Hand und sein Arm bisweilen heftig zittern.

Dieses Zittern liefert ihm die Information, die er sucht. Wird das Handzittern zu anderen Zwecken als dem Diagnostizieren von Krankheiten eingestzt, muß dabei der Ratsuchende nicht anwesend sein. Für verlorene Gegenstände wird ein Kleidungsstück verwendet. Bei einem Diebstahl macht ein Handzitterer den Verdächtigen ausfindig und packt ihn an den Schultern.

 

SPIRITUELLE SUCHE

Viele indianische Überlieferungen stimmen darin überein, daß einige Menschen die unbestimmte Grenze zwischen den Welten nie überschreiten. Für all jene, die über besondere Gaben oder Merkmale verfügen, ist diese Grenze jedoch keine Barriere. Einige fürchten diese Geisterwelt und weichen ihr aus. Andere versuchen hingegen aktiv, mit dieser Dimension in Kontakt zu treten. Und wieder andere überkommt die Macht der Geister ungebeten.
Die Kraft der Geister ist eine mysteriöse Macht, die aus allen Naturerscheinungen hervortritt. Die wenigen Indianer, die bereit sind, diese Erfahrung zu beschreiben, sprechen von etwas Immateriellem, einem hellen, weißen Licht, der Sonne gleich. Sie glauben, daß Menschen ohne die Kraft des Spirits unfähig und schwach sind, daß sie aber Stärke und Tatkraft entwickeln, wenn sie diese geistige Kraft erringen.

Geister und spirituelle energien werden durch Visionen hervorgerufen. Sie erscheinen wie bei den Plains-Völkern in einsamer Visionssuche. Personen, die an Zeremonien wie dem Sonnentanz teilnehmen, können durch die rituelle Reinigung oder über den Verlust des Ichs durch Fasten oder physischen Schmerz ebenfalls eine Vision erfahren. Auch in Bewegungen wie dem Geistertanz haben manche infolge der physischen Erschöpfung die Vision einer anderen, besseren welt. Schließlich kann auch der Genuß des Peyote-Kaktus im Zusammenspiel mit Gemeinschaftsgesängen und Trommelrhythmen Visionen erzeugen.

Bisweilen überträgt sich die Kraft durch den Besitz eines gewissen Gegenstandes. Viele lokale Stämme der Plains und des Südwestens glauben, daß der kreisförmige, lederne Rahmen eines Schildes, der mit Hilfe eines Heiligen hergestellt wird, als Symbol für diese Welt die Schutzgeister anzieht. Zur Verstärkung seiner Kraft kann man ihn mit Federn und anderen heiligen Dingen sowie mit Traum- oder Visionsbildern schmücken.

Ungebetene Geister kommen meist in Träumen. Die Mohave im Südwesten oder die Irokesen im Nordosten glauben, daß Träume direkte Energiekanäle aus der Geisterwelt zu den Menschen sein können. Die Menominee aus dem Gebiet um die Großen Seen halten sämtliche Träume für bedeutungsvoll und schenken den darin enthaltenen Prophezeiungen oder Warnungen große Beachtung. Wenn ein Mann beispielsweise oft vom Ertrinken träumt, fertigt er vorsoglich ein kleines Kanu als Talisman an, das er ständig bei sich trägt.
bleibt die Bedeutung eines Traumes unklar, sucht der Träumende die Hilfe eines Älteren. Man nimmt an, daß sich alte Menschen gegen Ende ihres Lebens näher an der Welt der Geister befinden. Träumt jemnd einen Traum, der auch von den Ältesten nicht gedeutet werden kann, oder träumt jemand überhaupt nicht, ist er von der Kraft der Geister getrennt.

Medicine Deer Rock Medicine Deer Rock in Montana, wo Sitting Bull, der Häuptling der Hunkpapa-Teton-Dakota, eine Vorahnung seines Sieges in der Schlacht gegen General Custer bei Little Bighorn im Jahre 1876 hatte. DIE VISIONSSUCHE
Viele Stämme nehmen in einer einsamen Vision Quest Kontakt zu den Geistern auf, um mit ihrer sprituellen Kraft in Verbindung zu treten. Eine solche Visionssuche ist mehrmals auch im Alter noch möglich, obwohl es traditionell eine Sache der Jungen ist. Die Peer Skagit aus dem Westen des Staates Washington glauben etwa, daß die Geister von jeder Altersgruppe kontaktiert werden können, aber ihrer Tradition zufolge schicken sie ihre Kinder ab dem 5. Lebensjahr bis zur Pubertät auf Visionssuche. Die meisten Indianernationen glauben, daß die Erfahrung einer Vision für beide Geschlechter wichtig ist.

Um für Geister empfänglicher zu werden, muß der Visionssuchende innerlich und äußerlich rein sein, was durch einsames Fasten und Baden in Schwitzhütten erreicht wird. Die Dauer des Fastens ist davon abhängig, welche spirituelle Kraft angestrebt wird.
Kinder erhalten Anleitungen, welchen Geist sie suchen sollen. Ein Junge bekommt etwa einen Bogen mit, der ihm helfen soll, die Vision eines Jagdgeistes zu bekommen. Zunächst soll das Kind über seine Vision nicht sprechen, bis es älter geworden ist. Genauso wichtig ist, daß der junge Mensch seine neu erworbene Kraft nie leichtfertig gebraucht.

 

ÜBERGANGSRITEN

Die meisten indianischen Kulturen bekräftigen bedeutsame Abschnitte im Leben einer Person -wie Geburt, Pubertät, Jugend Heirat und Tod- mit Ritualen, in deren Verlauf der Wechsel von einem alten Zustand in einen neuen feierlich dargestellt wird. Diese Zeit des körperlichen Wandels gilt als besonders gefährlich, aber auch als außergewöhnlich chancenreich.

Ungeborene und neugeborene Kinder sind besonders verletzlich, und viele Stämme halten sich zu ihrem Schutz an bestimmte Tabus. Bei den Cherokee-Indianern ißt eine schwangere Frau aus Angst, ihr Kind könne Flecken im gesicht bekommen, keine gesprenkelte regenbogenforelle. Die Apachen meiden Eier, um ihr Kind vor Blindheit zu bewahren, und tierzungen, um eine Sprachbehinderung zu vermeiden.

Die dramatischsten Initiationsriten begleiten den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenen. Diese Rituale ähneln einander in den meisten Stammesgesellschaften auf der ganzen Welt. Oft beinhalten sie eine Periode physischer Isolation, um jene Lösung vom früheren Status zu unterstreichen. Diese kurze Verbannung kommt einem Zwischenstadium des ” Nichtseins” gleich und ist oft mit einer Prüfung der physischen Ausdauer, der Schmerzunempfindlichkeit oder des Verlustes verbunden. Meist endet dieser Vorgang mit einem Ritual, der die Eingliederung in die neue Gruppenzugehörigkeit vollendet. Der Nozihzho (Stehschlaf)-Ritus der Omaha weist nahezu alle diese elemente auf. Er besteht aus einem viertätigen Fastenritual, dem sich alle männlichen Jugendlichen der Omaha (und alle weiblichen, die es wünschen) unterziehen. Der Name bezieht sich auf die Trance, die die Jugendlichen im Verlauf des Rituals erfahren. Die Welt um sie versinkt, und ihr Bewußtsein richtet sich nach innen. Das Ritual vollzieht den Ursprungsmythos der Omaha nach. Der Initiand sucht sich eine einsame Stelle, wo er über seinen Kopf Lehmbrocken streut – zu Ehren der Tiere, die Lehm aus den Tiefen des Wasser herauftauchten, aus dem die Erde geschaffen wurde. Daraufhin betet der Knabe zu Wakoda, jener gehimnisvollen Macht, die die ganze Natur beherrscht. Er bemüht sich, seine Gedanken auf Gesundheit und Erfolg zu richten, ohne dabei etwas Spezielles zu erbitten.

Wakoda, so glaubt man, antwortet durch eine Vision oder einen Traum, in dem ein Tier vorkommt und dem Initianden ein persönliches Lied vermittelt wird. Dieses Lied ist ein Glückstalisman, den den jungen Menschen mit den Mächten des Universums verbindet. Er kann dieses Lied sein ganzes Leben hindurch einsetzen, um seine Schutzgeister zu rufen.

Nach seiner Rückkehr von dem Ritual wartet der junge Mensch vier Tage, bevor er den Rat eines Ältesten einholt, der einen ähnlichen Traum hatte. Dann erst sucht er das Tier, welches ihm in seiner Traumvision erschienen ist, um es zu töten. Ein Teil kommt in seinen persönlichen Medizinbeutel, den er in den Krieg mitnimmt und bei Ritualen verwendet.

Das Nozihzho-Ritual ist nicht ganz ungefährlich. Ein Schlangentraum verheißt nichts Gutes. Träumt der Knabe vom Mond und wacht dabei zur falschen Zeit auf, mußte er die Mannwerdung aufgeben und als Mixuga leben, der vom Mond unterwiesen wird. Als solcher kleidet er sich wie eine Frau und trägt langes Haar statt des “Hahnenkamms” (einem bis auf einen Mittelstreifen kahlrasierten Schädel). Er geht nicht auf die Jagd und zieht nicht in den Kampf, sondern widmet sich wie die Frauen der Saat und der Ernte und dem weiblichen Handwerk.
Brautwerbung Zur Brautwerbung gehören spezielle Instrumente. Die Männer der Lakota z. b. bringen jungen Frauen mit eigens für die Brautwerbung gefertigten Flöten ein Ständchen. Sie werden oft mit Tieren beschnitzt – meist mit Vögeln, die für ihre auffallenden Balztänze bekannt sind.

Viele Ureinwohner Nordamerikas betrachten die Heirat als einen Status, der bis zum Tod währt, und die Heiratsrituale mancher Völker spiegeln dies auch deutlich wider. Die traditionellen Hochzeiten der Hopi beginnen im Morgengrauen. Das Paar streut Getreide-Mehl über die östlichen Grenzen des Tafelbergs der aufgehenden Sonne entgegen. Die Familie des Bräutigams webt für die Braut zwei weiße Baumwoll-Hochzeitskleider mit gefransten Schärpen. Eines trägt die Braut während der Hochzeit; das andere wird zu ihrem Leichentuch. Diese Zwillingskleider betonen ihren Status und erleichtern beim Sterben den Weg in die Geisterwelt.

 

Kinaalda

Kinaalda, eine Sandmalerei des Navajo-Pupertätsritus für Mädchen. Sie zeigt den ersten Kinaalda-Ritus, den “Verwandelnde Frau”, die Tochter von “Erster Mann” und “Erster Frau”, bei ihrer ersten Menstruation vier Tage nach ihrer Geburt feierte. Kinaalda wird bis zum heutigen Tag praktiziert und ist Teil des Segensweges, eines Übergangszyklus der Navajo.

 

Die Macht der Frauen

Als Gebärende ist die Frau ein Abbild von “Mutter Erde”. Sie wird verehrt, ihre Macht wird manchmal jedoch auch gefürchtet. Die einsetzende Menstruation gilt wie andere Übergangsperioden als Zeit außergewöhnlicher Macht und potentieller Gefahr. Übergangsriten, die anläßlich der ersten Periode stattfinden, isolieren das Mädchen meist in einer kleinen, außerhalb des Dorfes liegenden Menstruationshütte. Die Betroffene wird über die vielen Tabus aufgeklärt, die sie während der kommenden Menstruationen einzuhalten hat. Ein Grund für diese Tabus ist die Überzeugung, Menstruationsblut sei eine gefährliche substanz, die heiligen Gegenständen ihre Macht entzieht und Krankheit mit sich bringt.

Die Zeit der monatlichen Blutung unterwirft die Frauen strengen Verhaltensregeln, da sie gleich mehrere Tage ihren täglichen Aufgaben nicht nachgehen können. Gleichzeitig ist es jedoch eine Zeit der Ruhe und Regeneration.
Die Lakota bezeichnen diese Zeit der weiblichen Zurückgezogenheit als Isanti oder “alleine wohnen”. Sie glauben, daß die Menstruation eine Art der natürlichen Reinigung sei. Deshalb müssen sich die Frauen -anders als die Männer- nicht zur regelmäßigen rituellen Reinigung in die Schwitzhütten begeben.

 

Mimbres-Schale

Diese prähistorische Schale von Indianern des Mimbres-Tales, New Mexico, wurde vor der Beigabe in ein Grab gleichsam “getötet”, indem man sie durchlöcherte. Wahrscheinlich wurde so die auf der Schale abgebildete Gestalt befreit, die daraufhin den Toten in das Jenseits begleitete. Der Tod und das Leben danach.

Zwar unterscheiden sich die indianischen Bräuche und Glaubensvorstellungen vom Ende des Lebens von Nation zu Nation, doch glauben viele Völker, daß ein Individium zumindest zwei Seelen besitzt. Eine ist frei und kann den Körper im Traum oder während einer Krankheit verlassen, die andere ist Leibgebunden. Erstere geht nach dem Tod in das jenseitige Leben ein; zweitere stirbt mit dem Körper.

Die Navajo glauben, daß der Tod eintritt, wenn der bei der Geburt in den Körper fließende Atem des Lebens wieder weggeht. Im allgemeinen werden die Toten gefürchtet, da die Güte eines Toten die Balance und Harmonie des Universums zwar fördert, das in Form eines Geistes zurückbleibende Böse jedoch den Lebenden Schaden zufügen kann.

Die von den Toten am stärksten bedrohten Menschen sind jene, die ihnen im Leben am nächsten standen. Bei den Tlingit der Nordwestküste führen daher oft Fremde die Begräbnisrituale durch. Wie bei anderen Übergangsriten auch, müssen die Toten abseits der Gemeinschaft ihre Bindungen an die lebende Welt unterbrechen. Die Yuma im Südwesten verbrennen den Wohnsitz der Verstorbenen; wenn Verwandte weiterhin dort leben, bauen sie eine neue Tür oder einen Rauchabzug, damit die Toten den Weg zurück in das Haus nicht finden. Der Leichnam wird verbrannt, unter einem Erdhügel begraben oder auf einem Gerüst unter offenem Himmel aufgebahrt. Die Wanagi- (“Schattendinge”) Geister der Lakota bewachen die Gräber und stiften Unheil, wenn die Totenruhe gestört wird.
Die meisten Völker glauben zwar an ein Leben nach dem Tod, aber keineswegs immer an die stereotypen “ewigen Jagdgründe”. In den meisten Traditionen folgt die Seele dem Schöpfer in die Ewigkeit. Die Delaware glauben, daß die körpergebundene Seele zuvor zwölf kosmische Schichten zu durchlaufen hat.

Oft gilt das Jenseits als eine Art Zwischenstation vor der Wiedergeburt. Andere pflegen das Bild einer umgekehrten Welt, in der die Flüsse stromaufwärts laufen, die Jahreszeiten vertauscht sind und die Menschen mit gekreuzten Füßen tanzen. Da die Toten oft daran leiden, nicht mehr zu leben, sollten die Lebenden ihnen ihre Pein erleichtern. Als Ausdruck der Trauer schlagen sich einige, andere schneiden sich die Fingerspitzen ab. In vielen Fällen existieren Trauerzeiten, oder es werden Speisen kredenzt, um dem Toten den Übergang in das Jenseits zu erleichtern. Manchmal werden die Menschen -wie im Fall der Hopi-Bräute- von früher Jugend an auf den Tod vorbereitet.

 

RELIGIÖSE BEWEGUNGEN

Die restaurativen Bewegungen Nordamerikas entstanden, um die Werte der Ureinwohner zu bestätigen, wo veränderte Bedingungen die traditionellen Zeremonien sinnentleert oder umpassend werden ließen.
Es gab zwei Arten restaurativer Bewegungen: den “Revitalismus” und den “Millenarismus”. Beide übernahmen in unterschiedlichem Maße Glaubensvorstellungen und Praktiken der herrschenden weißen Kultur. In der ersten Variante konnten die Indianer der Kritik der Weißen zuvorkommen, indem sie einige christliche Formen und Symbole übernahmen und traditionelle Elemente eliminierten, die von den Missionaren als heidnisch, satanisch oder abergläubisch denunziert wurden. Einige Revitalisierungsbewegungen wie die “Handsome-Lake-Bewegung” und die “Native American Church” nahmen Ordensformen an, jenen der christlichen Kirchen vergleichbar. Innerhalb dieser Bewegungen war es möglich -gleichsam unter dem Deckmantel christlichen Beiwerks- , den Kern des traditionellen Glaubens zu erhalten.
Die zweite und im allgemeinen militantere restaurative Bewegung war der Millenarismus. Diese Bewegung entstand, als die Unterjochung durch die Weißen solche Ausmaße angenommen hatte, daß die traditionelle Kultur vor dem unmittelbaren Zusammenbruch stand. Sie wurden häufig von Propheten angeführt, die ein bevorstehendes, revolutionäres Ende der gegenwärtigen Ordnung und eine Rückkehr zu den traditionellen Bräuchen predigten.

Einige Gelehrte vermuten, daß diese Propheten der Indianer durch den Kontakt mit dem Christentum aufkamen. Sie schienen besonders von der Aufforderung Jesu an die Juden, zu ihren traditionellen Werten zurückzukehren, inspiriert gewesen zu sein. Andere halten jedoch dagegen, daß die indianischen Propheten ihre Wurzeln im Prophetentanz haben könnten, der bereits vor dem Kontakt mit dem Christentum existierte. Es handelt sich um einen kollektiven Tanz, der Prophezeiungen, Ermahnungen und Trance einschließt. Wie dem auch sei, die indianischen Propheten waren Erneuerer, die ihrem Volk neue Glaubensinhalte und Praktiken vermitteln wollten.

Die Propheten tauchten meist in Krisenzeiten auf, wie etwa der Zeit der Bedrängnis der Seneca vor dem Aufstieg von Handsome Lake. Viele waren Heilige wie Wodziwob, der Prophet der Paiute. Andere besaßen überhaupt keine sakrale Bildung, dafür aber rednerische oder politische Talente. Die meisten wurden aufgrund persönlicher Visionen oder Träume Propheten.

Die erste große Revitalisierungsbewegung, die Handsome-Lake-Bewegung oder Langhaus-Religion, entstand im Nordosten. Sie formierte sich 1799 bei den Seneca, einem zum Irokesenbund gehörenden Stamm. Nach dem amerikanischen Unabhängigkeits-Krieg (1775-1783), bei dem die Seneca für die Briten Partei ergriffen hatten, wurde ihr Land konfisziert, verkauft oder geraubt. Die Nahrung wurde knapp, und der Alkoholismus beschleunigte den drohenden sozialen Zusammenbruch. Zu diesem Zeitpunkt träumte Handsome Lake (Häuptling der Seneca und religiöser Führer der Irokesen) von einer Begegnung mit Geistern, die den Seneca den Rat gaben, vom Alkohol und allen Tänzen außer einem Anbetungstanz abzusehen. Sie rieten auch zu einem friedlichen Arrangement mit den Weißen. In der Vision gab es einen Himmel und eine Hölle, die den Indianern alleine vorbehalten waren. Die Religion fand in den sechs Nationen der Irokesenliga großen Anklang und wird bis zum heutigen Tage praktiziert.
Andere Bewegungen taten sich zu Beginn des 19. Jh. hervor, wie die des Propheten der Shawnee und der Prophetin der Ojibwa, einer anonymen, charismatischen Frau, die die Region nördlich des Columbia River besuchte. Möglicherweise wurde der Wanapum-Prophet Smohalla, der “Priester”, der zu den bekanntesten Propheten der Nordwestküste zählt, von ihr inspiriert.

Es handelte sich um einen Heiligen aus dem Flußtal des Columbia River, der 1860 verkündete, daß er aus dem Land der Geister käme. Er prophezeite, die Indianer bekämen ihre Besitztümer zurück, wenn sie sich weigerten, den Weg der Weißen zu gehen, die Mutter Erde durch Schürfen und Pflügen verwundeten. Die Prophezeiungen des Smohalla wurden die Grundlage vieler Geistertänze der Nordwestküste und der Plains.
Smohalla inspirierte auch mehrere restaurative Gruppen in Kalifornien, wo die tiefgreifende kulturelle Zerrüttung der Jahrhundertwende gleich mehrere Bewegungen ins Leben rief. Eine davon, die “Bole-Maru-Bewegung”, kombinierte traditionelle Werte mit christlich inspirierten dualistischen Vorstellungen von Himmel und Hölle, Gott und Teufel. Sie wird bei einigen Völkern Kaliforniens nach wie vor praktiziert, wie in der um 1880 entstandenen indianischen Shaker-Kirche. Die Shaker behaupten, während Trancezuständen, die sich durch Anfälle heftigen Zitterns auszeichnen, ihre Macht unmittelbar von Gott zu bekommen. Die Kirche propagiert Heilung durch Glauben mit Hilfe von Liedern, die indianische Melodien mit einer Mischung aus traditionellen und christlichen Versen verbindet. Die wichtigsten Zeremonien, zu denen einige traditionelle Weltneuschöpfungsrituale gehören, werden rund um Ostern und im August abgehalten.

 

NAC

Auf dieser Halstuch-Spange: ein Peyote und ein Halbmond-Altar, Symbol der Native American Church. Die Native American Church
Zu den wichtigsten Wiederbelebungsversuchen indianischer Kultur gehört die 1918 in Oklahoma gegründete indianische Kirche, Native American Church (NAC), die manchmal geringschätzig auch Peyote-Kirche genannt wird. Mit ihren 250.000 Mitgliedern gilt sie als panindianische Bewegung.

Ursprünglich in Mexiko entstanden, verbreitete sich die Kirche nach dem jähen Ende des Geistertanzes in den Plains und wurde später auch im Mittleren Westen und Südosten populär. Ihre Mitglieder suchen Visionen, indem sie Stücke des leicht halluzinogenen Peyote-Kaktus zu sich nehmen, befolgen eine festgelegte Ethik, die Pflicht zur Nächstenliebe, Fürsorge für die gesamte Familie, Selbstvertrauen und Meidung von Alkohol beinhaltet.

Die Zusammenkünfte finden nachts statt, wobei traditionelle Instrumente verwendet werden. Gott ist ein großer Geist und Jesus ein Schutzgeist. Das Ideal der brüderlichen Liebe und einige der zehn Gebote gehören zu den zentralen Glaubensgrundsätzen. Trotz des streng rituellen Gebrauchs war Peyote eine Zeitlang verboten. Nunmehr wird seine Verwendung in der Native American Church weitgehend anerkannt, obgleich viele Weiße nach wie vor um ein Verbot kämpfen.