Junge Japaner sind so übermüdet, überarbeitet und gestresst, dass die Regierung ein Überstunden-Gesetz erließ. Gleichzeitig gibt es nirgendwo so viele Hundertjährige und fitte Senioren. Was die japanische Jugend und der Rest der Welt von Nippons Alten lernen kann.
Der Tod durch Überarbeitung hat in Japan einen eigenen Namen: Karoshi. Er ereilt jedes Jahr rund 200 überwiegend junge Menschen, die zu viele Stunden im Büro verbringen und zu wenig schlafen.
Der Karoshi-Tod in jungen Jahren scheint so gar nicht in das Land mit der höchsten Lebenserwartung und den meisten Hundertjährigen der Welt zu passen. Knapp 84 Jahre erreichen Japaner im Durchschnitt, Ende 2018 lebten rund 70.000 Hundertjährige im Land der aufgehenden Sonne. Es sind überwiegend Frauen, die den 100. Geburtstag erleben.
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Die Spitze der Langlebigkeit erreichen die Bewohner der Provinzen Kanagawa und Okinawa. Was die Menschen in der ländlich geprägten Südprovinz Okinawa so besonders macht, und was der Rest der Welt von ihnen lernen kann, versuchen Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten zu ergründen. Fünf Faktoren haben sie als die Komponenten für das lange, gesunde Leben identifiziert.
1. Schlank bleiben mit der Japan-Diät
Die traditionelle japanische Ernährung, besonders die auf der Okinawa-Inselgruppe, entspricht dem, was die Wissenschaftler der Eat-Lancet-Kommission Anfang 2019 als „Planetary Health”-Musterdiät bezeichnet haben. Dahinter steckt eine Ernährungsweise, die sich besonders positiv auf die Gesundheit auswirkt und zudem auch dabei hilft, die negativen ökologischen Auswirkungen unserer Ernährung zu reduzieren.
Die hoch gelobte und lebensverlängernde Okinawa-Diät ist
- reich an Gemüse und Sojaprodukten, Fisch und Meeresfrüchten, Reis und (grünem) Tee,
- steckt dadurch voller Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien, Vitamine und Pflanzenstoffe.
- Gleichzeitig gibt es wenig Fleisch, (tierisches) Fett und Zucker.
- Die Gerichte haben einen hohen Kohlenhydrat- und niedrigen Kaloriengehalt.
Außerdem sollen sich die Inselbewohner von Okinawa an die Faustregel „hara hachi bu“ halten: Das heißt, dass man mit dem Essen aufhören sollte, wenn man sich zu 80 Prozent gesättigt fühlt. Dieses Gegenteil vom westlichen „All you can eat“ gilt schon länger als ein Ernährungsprinzip, das für ein langes Leben sorgen kann.
2. Ein Leben lang arbeiten und aktiv sein
Sich bis ins hohe Alter körperlich zu betätigen gilt in Japan als Ideal. Gerade Menschen, die auf dem Land leben, sind oft Selbstversorger. Die alten Fischer und Bauern von Okinawa führen daher einen aktiven Lebensstil. Aber auch die Gartenarbeit um der schönen Bepflanzung willen macht nicht nur glücklich, sondern hält auch fit.
Auch energetisierende Sportarten wie Qi Gong oder Tai Chi werden gern noch von den Senioren betrieben. Und wer sich ein Leben lang mit den traditionellen Kampfkünsten wie Judo, Jiu Jitsu, Karate, Aikido und Kendo beschäftigt hat, versucht es, so lange wie der Körper erlaubt aufrecht zu halten. Das ist gut, weil die fernöstlichen Bewegungsansätze Körper und Geist beanspruchen und stärken.
3. In der Gemeinschaft verankert sein
In Japan spielt die Familie eine extrem wichtige Rolle. Viele Senioren verbringen ihre letzten Lebensjahre im behüteten Kreis der Familie. Hier können sie ganz selbstverständlich auf Hilfe in schwierigen Lebenssituationen hoffen.
Viele Senioren engagieren sich auch noch ehrenamtlich und gehen sinnstiftenden Aktivitäten nach. Dieses Gefühl, noch nützlich zu sein und eine Rolle in der Gemeinschaft zu spielen, lässt sich kaum in Lebensjahren messen. Doch Altersforscher sind sicher, dass Menschen mit einem starken sozialen Zusammenhalt, mit Freundes- und Familienkreisen seltener an Alterskrankheiten leiden als isolierte oder einsame Menschen.
4. Kraft schöpfen im Waldbad
Die Kraft des Waldes haben Japaner schon längst genutzt, bevor wir im Westen das „Waldbaden“ als Wellnesstrend entdeckt haben. Waldbaden, auf Japanisch „Shinrin Yoku“, ist das Eintauchen und Erleben des Waldes mit allen Sinnen. Es geht dabei darum, jeden Geruch wahrzunehmen, das Licht zwischen den einzelnen Blätter zu spüren und den weichen Boden zu fühlen.
„Shinrin Yoku“ wurde vom japanischen Landwirtschaftsministerium Anfang der achtziger Jahre propagiert. Inzwischen gibt es Zentren für „Waldtherapie“. An japanischen Universitäten können sich Ärzte auf „Waldmedizin“ spezialisieren. Den Nationalen Erholungswald von Akasawa besuchen zum Beispiel jedes Jahr mehr als 100.000 Japaner.
5. Stressabbau im heißen Wasser
Ein schönes Wannenbad oder Entspannung im Whirlpool schätzen auch viele Westler als Wohltat für Körper und Seele. In Japan haben ausgiebige heiße Bäder eine besondere Tradition. Das ebenso entspannende wie kommunikative Baderitual im „Onsen“, dem traditionellen japanischen Dampfbad, genießen Japaner bis ins hohe Alter – nackt und getrennt nach Geschlechtern. Im heißen Badewasser, das die Durchblutung anregt und den Kreislauf fordert, findet perfekter Stressabbau statt.