Lasse Stolley reist als digitaler Nomade jeden Tag 1000 Kilometer durch Deutschland – er schläft, arbeitet und verbringt die meiste Zeit des Tages im Zug
Wenn der 17-jährige Lasse Stolley morgens aufwacht, blickt er direkt in etliche Gesichter. Von früh bis in die Nacht hinein ist er dann unter Menschen – an jedem Tag. Nie Stillstand, immer ist er unterwegs. Denn Stolley lebt als digitaler Nomade ohne festen Wohnsitz in den Zügen der Deutschen Bahn (DB). Auf deren Sitzplätzen schläft er nachts, arbeitet tagsüber umgeben von anderen Passagieren als Programmierer und bereist dabei das ganze Land.
„Privatsphäre beim Leben im Zug existiert gar nicht“, sagt Stolley im Interview mit Business Insider. Damit aber hat der Aussteiger kein Problem, denn sein Lebensstil hat in seinen Augen viele Vorteile: „Ich habe extrem große Freiheiten und kann jeden Tag entscheiden, wohin ich möchte, ob in die Alpen, in eine Großstadt oder ans Meer. Da bin ich voll flexibel.“
Inzwischen hat der Teenager 500.000 Kilometer Zugstrecke zurückgelegt – zwölf Erdumrundungen
Morgens prüft er per App mögliche Bahnverbindungen und entscheidet abhängig von Wetter und Laune, an welchen Ort es ihn verschlägt. Zumeist zieht es Stolley in touristische Regionen, etwa an das Ostseebad Binz auf der Insel Rügen oder hinauf auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze. „Da mache ich oft kleine Wanderungen, denn Bewegung ist in meinem Alltag ziemlich verankert.“
Wann immer er in Berlin ist, läuft er ein paar Kilometer des Mauerwegs ab, um die Hauptstadt besser kennenzulernen. „Berlin ist einfach magisch, weil es eine vielfältige Stadt ist. Sie ist gut erreichbar für mich und es gibt immer was zu sehen.“ Mehrmals in der Woche steigt er hier aus dem ICE. „Ich bin aber auch alle paar Tage in Frankfurt und in München.“
Über 500.000 Kilometer hat Stolley inzwischen auf deutschen Schienen zurückgelegt. Das entspricht etwa zwölf Erdumrundungen. Den Entschluss, sein Elternhaus im schleswig-holsteinischen Fockbek zu verlassen und fortan im Zug zu leben, fasste er als 16-Jähriger. Damals, im Sommer 2022, hatte er die Realschule abgeschlossen und eine ihm fest versprochene Ausbildung zum Fachinformatiker antreten wollen. Als die kurzfristig abgesagt wurde, machte der Teenager einen neuen Plan: Inspiriert von einer Youtube-Doku kaufte er sich eine Bahncard 100, fährt seitdem unbegrenzt mit der DB durch Deutschland und dokumentiert sein Leben in einem Blog.
Heute weiß Stolley, dass vor allem die richtige Organisation zählt. „Ich muss jede Nacht darauf achten, dass ich den Nachtzug erreiche und teilweise ganz schnell umplanen, weil der auf einmal nicht ankommt.“ Außerdem lebt er unterwegs extrem minimalistisch: All seinen Besitz trägt er in einem 36-Liter-Rucksack mit sich. Diesen sehr begrenzten Raum muss Stolley optimal nutzen. Vier T-Shirts, zwei Hosen, ein Nackenkissen und eine Reisedecke – Platz für Überflüssiges bleibt ihm nicht. „Das Wichtigste sind mein Laptop und meine Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung, die mir zumindest ein bisschen Privatsphäre in der Bahn geben.“
Der Jugendliche träumt davon, dass sich sein Leben im Zug eines Tages selbst finanziert. Und wie? Er würde die Bahn gern im Hinblick auf Service und Sicherheit beraten, sagt er. Wie kaum ein anderer Fahrgast kenne er schließlich die einzelnen Zugmodelle und wisse auch, was in den Abläufen gut klappe und was nicht.
„Mein Wunsch wäre, Feedback an die Verkehrsunternehmen, beispielsweise die Deutsche Bahn oder die Hersteller der Züge, zu geben und das vergütet zu bekommen.“ Mitarbeitende des Linienmanagements hätten ihn zwar bereits ihr Büro eingeladen, um dort seine Erfahrungen und Beobachtungen zu teilen. Für eine feste Zusammenarbeit jedoch habe es bisher noch kein entsprechendes Angebot gegeben. „Aber schauen wir mal“, schiebt er hinterher.
Führt ihr selbst einen außergewöhnlichen Lebensstil und wollt eure Erfahrungen teilen? Dann meldet euch bei uns.